Europa-Gedanke neu belebt
Bürger aus Kirn reisten in die französische Partnergemeinde Marange-Silvange
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Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz wie jüngst im Europäischen Parlament spricht, ist das eine Seite der Europa-Medaille. Die andere, wenn nicht sogar wichtigere, ist es, bei den Bürgerinnen und Bürgern den Europa-Gedanken mit gemeinsamen Begegnungen zu stärken.
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Mit dieser Idee kam vor eineinhalb Jahren die zwölf Kilometer nordwestlich von Metz gelegene Gemeinde Marange-Silvange auf den Kirner Stadtbürgermeister Frank Ensminger zu. Zwischen beiden Orten gibt es zwar seit 2010 eine Partnerschaft. Sie war allerdings nicht mehr sehr aktiv. Motor des Neustarts ist der pensionierte Lehrer Paul Linden aus Marange-Silvange. Während seiner aktiven Berufszeit bestanden Kontakte mit der Realschule Plus „Auf Halmen“. Bei der Wiederbelebung einer grenzüberschreitenden Begegnung von Bürgerinnen und Bürgern verfolgte er aber einen neuen Ansatz. Wäre es nicht denkbar, so seine Überlegung, neben einer deutsch-französischen Partnerschaft auch noch jeweils eine Gemeinde aus dem nahegelegenen Luxemburg beziehungsweise aus Belgien für ein solches Vorhaben zu gewinnen?
„Mir gefiel die Idee eines städtepartnerschaftlichen Quartetts spontan. Wir hatten allerdings kurzfristig keine Kapazitäten frei, um die Realisierbarkeit zu prüfen beziehungsweise Ideen zur Umsetzung zu entwickeln“, erinnert sich Ensminger. Er sprach also seine Schwester Birgit Ensminger-Busse, bekannt als Chorleiterin des Chor Capriccio und Veranstaltungsmanagerin, selbst Kommunalpolitikerin und ihren beruflich in Sachen Öffentlichkeitsarbeit erfahrenen Lebensgefährten Jürgen Breier sowie die Künstlerin Heidi Stöhr aus Kirn an. Zusätzlich informierte er den Stadtrat, der „grünes Licht“ gab. In ehrenamtlicher Funktion reisten die Drei mehrfach in die 7000-Einwohner-Gemeinde und sprachen dort mit Paul Linden und Bürgermeister Yves Muller. Dabei wurde ein Programm für eine zweitägige Auftaktveranstaltung in der lothringischen Gemeinde entwickelt. Auch ein Name war rasch gefunden: Europatage. Sie sollen zukünftig jährlich am Wochenende nach dem offiziellen Europatag, der am 9. Mai gefeiert wird, abwechselnd in den beteiligten Gemeinden stattfinden. „Unser Ziel ist es“, so die Macher übereinstimmend, „bürgerschaftliche Verbindungen in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Kunst, Kultur und Sport zu schaffen.“ Das Organisationsteam wurde in der Endphase noch verstärkt durch Dana Vier aus dem Vorzimmer des Kirner Stadtbürgermeisters.
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So fuhren am vergangenen Wochenende knapp 100 Bürgerinnen und Bürger aus Kirn, aber auch aus dem Landkreis mit zwei Bussen nach Lothringen. Eine kleine Kirner Delegation war schon freitags angereist, denn bereits am Samstagmorgen stand ein sogenannter „Runder Tisch“ an, bei dem sich die Repräsentanten der Gemeinden zu aktuellen kommunalen Themen austauschten. Die Kirner Seite war durch Stadtbürgermeister Frank Ensminger sowie die Stadträte Thomas Bursian (FDP) und Christof Ensminger (FDP) vertreten. Aus unterschiedlichen Gründen nahmen die anderen Repräsentanten aus dem Kirner Stadtrat das Angebot einer Mitreise nicht wahr.
Nach der Politik standen Kunst und Kultur auf dem Plan. Am Nachmittag – die Busse aus Kirn waren mittlerweile angekommen – wurde im Rathaus eine Ausstellung mit Gemälden und Skulpturen unter dem Titel „Wege zum Frieden“ eröffnet. In den nächsten Wochen sind Werke von Künstlerinnen zu sehen, die der Kunstvereinigung GEDOK Wiesbaden/Mainz angehören. Initiatorin Heidi Stöhr führte in die Ausstellung ein, für die musikalische Umrahmung sorgten Prof. Thorsten Mäder (Klavier) sowie die Sopranistin Birgit Ensminger-Busse sowie die Künstlerin Judith Boy mit einer Tanz-Performance.
Musikalisch ging es am Abend weiter. Ein internationales Chorkonzert war angesagt. In der bis auf den letzten Platz besetzten Halle traten nacheinander ein Chor aus Marange-Silvange, dem belgischen Arlon und der Chor Capriccio aus Bad Kreuznach auf. Unter der Leitung von Chordirektorin Ensminger-Busse begeisterte der Chor Capriccio unter anderem mit modernen Bearbeitungen deutscher Volkslieder und schwungvollen Stücken aus den 1920iger Jahren. Besonders stimmungsvoll wurde es, als Ensminger-Busse das bekannte Chanson „Quand il est mort le Poète“ von Gilbert Bécaud sang und der ganze Saal mit einstimmte. Es folgte ein geselliger Ausklang, bei dem auch Kirner Bier angeboten wurde.
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Mit der Unterzeichnung einer gemeinsamen Erklärung unter dem Titel „Freundschaft – Völkerverständigung – Friede“ startete man mit einem feierlichen Akt in den Sonntag. Nach einer Begrüßung, insbesondere der Jugendlichen aus Kirner Schulen durch die beiden Bürgermeister, folgte die feierliche Unterzeichnung. Ein Grußwort sprach Belkhir Belhaddad, der als Abgeordneter das Department Moselle in der französischen Nationalversammlung in Paris vertritt. Sehr emotional wurde es, als „Freude schöner Götterfunken“, in Anlehnung aus Beethovens 9. Symphonie, abwechselnd in Französisch und in Deutsch gesungen wurde. Nach vielen herzlichen Umarmungen und den besten Wünschen hieß es dann au revoir – auf Wiedersehen bis spätestens im kommenden Jahr in Kirn. Dann hoffentlich auch mit Gemeinden aus Belgien und Luxemburg. Die deutsche Gruppe fuhr anschließend zur Besichtigung ins nahe Metz.
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„Wir erlebten hier zwei Tage bei herzlichen Gastgebern. Ich bin fest davon überzeugt, dass bei allen Beteiligten der Europa-Gedanke neuen Schwung erhalten hat“, zieht Stadtbürgermeister Ensminger ein positives Fazit.“